Boxen in Kabul – eine Mission für den Frieden
Als afghanischer Flüchtling kam Hamid Rahimi mit zehn Jahren nach Hamburg. Jetzt will der ambitionierte Boxer einen Kampf in seiner Heimatstadt veranstalten.
Hamid Rahimi im Ghazi-Stadion der afghanischen Haupstadt Kabul
Schon der Gedanke an die nahe Zukunft lässt Hamid Rahimis Stimme vor Begeisterung beinahe überschlagen. Die Worte sprudeln nur so nur aus dem Mund des 28-jährigen gebürtigen Afghanen, der seit mehr als 18 Jahren in Hamburg lebt.
Er erzählt davon, wie groß das Interesse in seiner ehemaligen Heimat am Boxen schon immer gewesen sei, und davon, dass früher so viele Menschen um vier Uhr nachts aufgestanden seien, um im Radio einen WM-Kampf von Muhammad Ali zu verfolgen. Es gebe eine lange Tradition des Faustkampfes in Afghanistan, sagt der Mittelgewichtler.
Rahimi wird, wenn alles wie gewünscht klappt, bald einen exponierten Platz in der afghanischen Historie des Boxsports einnehmen. In der ersten oder zweiten Maiwoche will er in der Hauptstadt Kabul einen Profikampf gegen einen Top-50-Boxer der Weltrangliste bestreiten.
Es soll ein Kampf mit Aussagekraft sein. Rahimi möchte in seinem Geburtsland etwas bewirken, er will ein Zeichen setzen für Frieden und Völkerverständigung. Mit "Fight for peace", also "Kampf für den Frieden" haben er und sein Manager Christof Hawerkamp den Wettkampf überschrieben.
Flucht aus Afghanistan
Ein symbolträchtiger Ort ist gefunden: Im 35.000 Zuschauer fassenden Ghazi-Stadion hatten die Taliban während ihrer Gewaltherrschaft (September 1996 bis Ende 2001) Regimegegner steinigen oder erhängen lassen.
Vor allem aber persönliche Erlebnisse haben bei Rahimi dazu geführt, dass der Gedanke von einem Boxkampf in Kabul zu einer Sehnsucht wurde. Da ist vor allem diese Geschichte, die von einem Sommertag in Kabul und von einem Besuch einer Eisdiele erzählt.
"Ich war damals acht Jahre alt. Mein bester Freund und ich waren mit unseren Schwestern dort. Wir standen in einiger Entfernung von der Eisdiele, leckten unser Eis und hatten einfach nur Spaß. Schließlich wollte mein Freund ein weiteres Eis holen. Er ging hin, und im nächsten Augenblick gab es einen unglaublich lauten Knall. Eine Bombe zerstörte die Eisdiele. Schreie, Blut, so viele tote Kinder, das kann man gar nicht beschreiben", sagt Rahimi.
Dieses entsetzliche Ereignis habe auch ihn verändert. "Ich war ein Jahr lang traumatisiert, habe nicht gesprochen. Die Worte kamen nur langsam zurück. Noch in Hamburg, nach unser Flucht aus Afghanistan im Jahr 1993, habe ich nur gestottert", sagt Rahimi.
Sport kann etwas verändern
Dieses Ereignis habe ihn nie losgelassen. Jetzt, als Boxer, habe er endlich die Möglichkeit, etwas zu verändern. Er sieht sich als Friedenskämpfer. "Der Kampf in Kabul ist für mich nicht nur ein Traum, er ist eine Mission. Ich weiß, was Krieg bedeutet. Daher möchte ich etwas tun. Ich glaube fest daran, dass Sport etwas bewirken kann, er eine Magie besitzt und Frieden schaffen kann."
Begeistung in den Nationalfarben bei der Fußball-WM 2006 - für Rahimi ein Zeichen für die KRaft des Sports
Zur Untermalung seiner These, dass der Sport etwas verändern könne, führt er ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte Deutschlands an, aus dem Sommer 2006, als wegen der WM das Fußball-Fieber grassierte. "Bis dahin war es doch so, dass die Deutschen ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Nationalfahne hatten. Da war man schnell ein Nazi, wenn man die schwarz-rot-goldene Flagge zeigte."
Das habe er nie verstanden, sagt Rahimi. "Kein Politiker des Landes, von Willy Brandt über Helmut Kohl bis Gerhard Schröder, hat es geschafft, die Nationalfahne salonfähig zu machen. Aber elf Jungs, die hinter einem Ball herlaufen, haben es geschafft, dass Deutsche, Afghanen und so viele Menschen anderer Herkunft gemeinsam gejubelt haben. Das war eine großartige Zeit."
Vom Schläger zum Boxer
Es war für ihn aber nicht immer alles wunderbar gewesen in Hamburg. Die ersten Jahre nach der Flucht der Familie aus Afghanistan waren schwer. Hamid Rahimi hatte Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. In der Schule war er Außenseiter.
"Zu Beginn war ich nett und ruhig", beteuert Rahimi. Als ihn eines Tages auf dem Schulhof jedoch drei Jungs ärgerten, sei das – im wahren Sinne des Wortes – schlagartig anders geworden.
"Ich bin hin und habe sie weggehauen. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich keine Freunde. Am Tag danach sah das ganz anders aus. Plötzlich waren alle nett und freundlich zu mir. Sie brachten mir Respekt entgegen. Ich dachte, mir würden die Fäuste Freunde bringen."
Nachdem er eine Gefängnisstrafe verbüßt hatte, fand Rahimi zum Boxsport
Letztlich brachten sie ihm viel Ärger ein. Der Junge aus gutem Hause – der Vater arbeitete in Afghanistan als Ingenieur, die Mutter war Schulleiterin – entwickelte sich in Jenfeld zu einem berüchtigten Schläger. An der Schule war er gefürchtet. Rahimi war später auch als Geldeintreiber tätig. 2001 führte sein Weg in die Jugendstrafanstalt Hahnöfersand.
Sieben Monate saß er dort ein wegen schwerer Körperverletzung. "Im Nachhinein war es eine gute Zeit für mich. Ich habe dort ein Antiaggressionstraining absolviert", sagt Rahimi. Die Biografie des ehemaligen Box-Weltmeisters Dariusz Michalczewski, die ihm seine Schwester geschenkt hatte, las er mit Begeisterung.
Er habe dem Buch entnommen, wie es funktioniere, die Aggressionen in richtige Bahnen zu lenken. Rahimi entdeckte den Sport, das Boxen nach Regeln. 2006 bestritt Hamid "The Dragon" Rahimi sein Profidebüt.
An diesem Freitag will er sich den ersten von zwei großen Träumen erfüllen. Er bestreitet abends im "Le Royal Eventsaal" (Hermann-Buck-Weg 9) den Kampf um die Interims-WM im Mittelgewicht nach Version des Kleinverbandes WBU. Sein Gegner ist Ruslan Rodivich (Weißrussland).
"Wenn ich als Weltmeister zum Kampf nach Afghanistan reisen könnte, wäre das gigantisch", sagt Rahimi. Im vergangenen Juli war Rahimi zusammen mit Christof Hawerkamp nach Afghanistan gereist, um sich vor Ort ein Bild zu machen, ob dort ein Profi-Boxkampf umsetzbar wäre.
Gegner fehlt noch
"Die Menschen waren so nett zu mir. Ich bekomme auch weiterhin viele E-Mails aus Afghanistan. Boxen ist ein harter Sport. An manchen Tagen tut dir alles weh, da kannst du noch nicht einmal einen Salat richtig kauen. Es motiviert sehr, wenn du merkst, dass das ganze Land hinter dir steht", sagt Rahimi.
Ein Gegner für den Kampf in Kabul ist noch nicht gefunden. Rahimi würde gern gegen einen US-Amerikaner boxen. "Das wäre doch etwas: Nach dem Kampf reicht man sich die Hand und umarmt sich", sagt er begeistert. Dies erscheint aber angesichts der jüngeren Historie des Landes als eine zu kühne Idee. Hawerkamp favorisiert daher als Gegner einen Boxer aus einem anderen Krisengebiet der Welt, etwa aus dem Kosovo.
Für Hamid Rahimi war es die erste Rückkehr in sein Heimatland, in seine Geburtsstadt Kabul. "Es entwickelt sich dort viel. Das Nationalstadion sieht gut aus. Und es gibt in Afghanistan viele Mädchen, die boxen. Das ist großartig, denn die Frauen wurden von den Taliban am stärksten unterdrückt", sagt Rahimi.
Er war auch an dem Ort, an dem er einst seinen besten Freund verlor. "Die Eisdiele haben sie wieder aufgebaut, es gibt dort das gleiche Eis wie früher."
Source: Hamid Rahimi: Boxen in Kabul - eine Mission für den Frieden - Nachrichten Regionales - Hamburg - WELT ONLINE